Forum Betreuung

Diskussionsforum zum Thema

gesetzliche Betreuung

 

Mal von der anderen Seite gesehen: Flüchtlinge

Dies ist ein Beitrag zum Thema Mal von der anderen Seite gesehen: Flüchtlinge im Unterforum Off Topic Bereich , Teil der Offenes Forum gesetzliche Betreuung
Hallo, nach vielen, teilweise grotesken Problemen, (viel zu viele für eine Schilderung hier) sitze ich seit einiger Zeit dort, wo ...


Zurück   Forum Betreuung > Offenes Forum gesetzliche Betreuung > Off Topic Bereich

Registrieren Hilfe Benutzerliste Kalender Suchen Heutige Beiträge Alle Foren als gelesen markieren
Alt 21.11.2015, 23:11   #1
Ehrenamtlicher Betreuer
 
Registriert seit: 23.02.2004
Ort: im Norden
Beiträge: 1,688
Standard Mal von der anderen Seite gesehen: Flüchtlinge

Hallo,

nach vielen, teilweise grotesken Problemen, (viel zu viele für eine Schilderung hier) sitze ich seit einiger Zeit dort, wo derzeit viele Menschen ankommen. In einem Erstaufnahmelager für Flüchtlinge. Freiwillig. Meine Arbeit machen derzeit meine Kolleginnen, danke dafür.

Ich sitze also in einem dieser Container und geben die Daten der Flüchtlinge/Asylbewerber in den Computer ein.

Meine Güte, was habe ich alles für Gerüchte und Meinungen zu hören bekommen, von meinen Kollegen und Bekannten, über Flüchtlinge. Ich habe aber keine Lust, diese hier zu wiederholen, aber sie stimmen alle nicht. Es war schon merkwürdig, dieses "wie kannst du nur dahin gehen" und "da würde ich nicht für Geld und gute Worte hingehen" bis zur Vermutung, ich würde nie wieder an meine alte Arbeitsstelle zurückkehren oder so etwas nur machen, weil ich befördert werde. Stimmt ebenso wenig wie die anderen Gerüchte.

Ich sitzte da vor meinem PC, mit "meinem" Dolmetscher, der ca. fünf Sprachen spricht, aber kein deutsch. Die Hälfte des Tages spreche ich dann halt englisch, mein Schulenglisch reicht bisher aus. Die Flüchtlinge kommen aus dem Irak, Syrien, Afghanistan und (seltener) dem Iran.

Von der menschlichen Seite ist das bisher relativ problemlos, besonders die Kinder sind echt knuddelig mit ihren großen braunen Augen.

Die Versorgung durch die diversen Hilfsorganisationen ist gut organisiert, aber eine Warteschlage vor der Mittagessenausgabe von 200 Menschen normal.

Saublöd finde ich, dass auch die Helfer (viele sind ja freiwillig dort) ab Montag für ein Mittagessen 5,50 Euro zahlen sollen, und so gut ist das nun auch wieder nicht.

Natürlich könnte ich viel mehr dazu schreiben, aber ich möchte auch neutral bleiben. Wichtig ist mir, dass man möglichst wenig von dem glaubt, was erzählt wird. Es herrschen normale hygienische Zustände, Ausnahmen gibt es immer mal, aber sehr selten. Unfreundlichkeit habe ich in drei Wochen nie erlebt, was ich von meiner "normalen" Arbeit nicht sagen kann.

Und was richtig entspannend ist: es gibt keine Telefonanrufe, ausser von meiner Frau :-) Ich kann völlig ungestört arbeiten, das kenne ich seit 35 Jahren nicht mehr *freu*.

Für mich ist diese Arbeit auch so eine Art Betreuung, und mir tut sie gut.

Viele Grüße

Andreas
AndreasLübeck ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 22.11.2015, 13:45   #2
Forums-Gesellen-Anwärter
 
Registriert seit: 16.10.2015
Beiträge: 56
Standard

Hallo Andreas,
meine große Anerkennung dafür, was Du da leistest! Find ich super!


Grüße und ein schönes Wochenende!
Emily
Emily ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 29.11.2015, 10:17   #3
Forums-Geselle
 
Registriert seit: 25.11.2014
Beiträge: 132
Standard

Super

Ich helfe hier ein wenig in der Familienbetreuung. Zwei Familien, eine ohne jegliche Englisch- oder Deutschkenntnisse. Die Kinder schnappen langsam vieles auf. Es ist aber trotzdem ein harter Job. Alleine die Erzählungen der zweiten Familie.. Von daher: RESPEKT!
May-Britt ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 01.12.2015, 10:24   #4
Ehrenamtlicher Betreuer
 
Registriert seit: 23.02.2004
Ort: im Norden
Beiträge: 1,688
Standard Der Glanz ist ab...

Hallo,

nach vier Wochen Einsatz hat sich doch einiges geändert.

Für Viele völlig unverständlich erfolgt keine Aufnahme vor Ort mehr, sondern es wird eine Verteilung per PC vorgenommen. Also werden die Asylsuchenden erst nach XYZ gebracht, um dann weiter verteilt zu werden.

Warum erfolgt die Verteilung nicht direkt an der Grenze ?

Das Computerprogramm "weiss", wo freie Plätze sind. Warum erst der Transfer über weite Strecken und dann noch eine weitere Reise allein oder als Gruppe per Bahn und Bus ? Ohne Begleiter und Dolmetscher ?

Es kann sich jeder vorstellen, die problematisch es ist, diesen Menschen klar zu machen, dass sie noch weiter müssen. Ich verstehe das ja selbst nicht.

Letze Woche musste ich jemandem aus dem hohen Norden nach Eisenhüttenstadt schicken, Fahrzeit ca. 7 Stunden mit der Bahn. Warum wurde der arme Kerl nicht sofort dorthin geschickt ?

Hinzu kommt eine immer deutlicher werdende mangelnde Hygiene der Menschen. Sie waschen sich einfach nicht (mehr). Was ich früher als Gerücht abgetan habe, wird jetzt leider Realität.

Aus diesem Grunde habe ich beschlossen, mein freiwilliges Engagement zu beenden, für mich ist die persönliche Schmerzgrenze erreicht.

Hut ab vor allen, die bleiben. Und mir tun die Kolleginnen und Kollegen leid, die bleiben müssen, weil es ihr Beruf ist. Aber, wie meine Vorgesetzte sagte, nach zwanzig Jahren in so einem Job sind Flöhe, Läuse, Krätze und Kakerlaken ganz normal. Na ja...

Viele Grüße

Andreas
AndreasLübeck ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 21.12.2015, 11:15   #5
Forums-Geselle
 
Registriert seit: 16.03.2012
Beiträge: 253
Standard

Hallo Andreas,

Es tut mir etwas leid zu lesen, dass Du Dein Engagement wohl etwas frustriert an den Nagel gehängt hast. Trotzdem war es aber gut, dass Du Dich engagiert hast.

Ich bin in einem etwas anderen Engagement tätig. Da ich auch eine Pflegestelle für Kurzeitpflege von Kindern habe wurden nun meine Dienste benötigt. Ich bin gewohnt, dass ich durchaus mal schwierige Kinder habe, teilweise misshandelt, missbraucht, aber auch derart vernachlässigt, dass sie keine Grenzen kennen. Im Allegemeinen nehem ich auch nur 1 Kind auf, nur bei Geschwistern mache ich eine Ausnahme.

Nun rief das Jugendamt an, ob ich bereit wäre, ein kleines, syrisches Mädchen aufzunehmen. Da ich auch für das Familiengericht arbeite, ging das ganze blitzschnell durch. Ich habe mich also auf den Weg gemacht, das Kind abzuholen. Vor Ort die Überraschung: Die Namen auf dem Behördenschreiben waren nicht Vor - und Nachname eines Kindes, es waren die Namen von zwei Kindern. Einige Telefonate und Faxe später habe ich neue Bescheide in der Hand und darf nun beide Kinder mitnehmen.

Die beiden Mädchen sind vermutlich Schwestern. Man weiß erschreckend wenig über sie. Sie sind klein, vermutlich 2 und 3 Jahre alt. Wir wissen nicht wo sie herkommen, wir wissen keine Geburtsdaten, keinen Familiennamen, wir wissen nicht, ob es noch weitere Geschwister gibt, wo die Eltern sind, ob sie überhaupt noch leben.

Die Kinder sind sehr verängstigt, sie trauen sich nicht in mein Auto zu steigen, da werden sie vom Heimmitarbeiter meiner Meinung nach recht rabiat in das Auto gestopft und auf den Kindersitzen festgeschnallt. Das geht nicht ohne Tränen und Geschrei. Mir werden noch zwei Einkaufstüten mit gespendeten Kinderkleidern in mitgegeben, mehr haben die Kinder nicht.

Nun habe ich zwei kleine Mädchen zu Hause. Eigentlich dachte ich ich habe schon alles gesehen, nach vielen Jahren als Verfahrenbeiständin und Umgangpflegerin. Aber was ich hier erlebe, ist absolutes Neuland. Ich weiß nicht, inwieweit sie mich verstehen. Die Große spielt Mutter für die Kleine, wenn immer ich etwas von der Kleinen will, stellt sie sich mir in den Weg. Sie sind beide recht mager, ernähren sich im Moment aber nur von Keksen und Orangen und Mandarinen. Sie trinken nur Leitungswasser, kein Sprudel, kein Saft, kein Tee. Der Psychologische Dienst kommt auch nicht weiter, trotz Dolmetscher macht keines der Kinder den Mund auf. Wenn sie aber allein zusammen im Zimmer sind, sprechen sie miteinander, leider kann ich sie nicht verstehen.

Baden ist ein Drama. Beide stehen stumm vor der Badewanne mit wenig Wasser und etwas Schaumbad. Ich hebe die Kleine kurzerhand in die Wanne. Nach einem kurzen Augenblick des Schreckens gefällt es ihr, sie fängt an mit dem Schaum zu spielen, zum ersten mal lacht sie. Die Große steht immer noch vor der Wanne und schaut mich mit tottraurigen Augen an. Nachdem sie aber sieht, dass ihre Schwester herumplanscht und mit dem Spielzeug in der Wanne Spass hat, kann sie sich ganz zögerlich darauf einlassen in die Wanne zu klettern. Beide gestatten mir sie zu waschen. Vor allem die verfilzten, dicken Haare haben es notwendig. Mit Shampoo und Spülung bekomme ich sie etwas entwirrt, aber den Rest muss wohl der Friseur per Schere machen.

Nach drei Wochen taut die Kleine langsam auf, sie spricht auch die ersten Worte Deutsch. Inzwischen schmecken auch Nudeln mit Tomatensoße, Äpfel, heißer Kakao und Weihnachtsgebäck. Die Große ist weiterhin stumm. Sie spielt nach wie vor Mama für die Kleine. Sie lassen sich anziehen, baden, gehen brav zu Bett, suchen aber keine Nähe, haben Angst vor dem Hund, der sich um sie bemüht, ihnen sein Spielzeug vor die Füße legt.

Wie bereits gesagt, es ist alle Neuland. Was haben die Kinder schlimmes erlebt? Ein so traumatisiertes Kind wie die Große habe ich noch nicht erlebt. Die Sprachbarriere kommt dazu. Jugendamt, psychologischer Dienst, Dolmetscher, keiner kommt weiter. Mal sehen wie es weitergeht.

Lotte
die_lotte ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 22.12.2015, 10:36   #6
Ehrenamtlicher Betreuer
 
Registriert seit: 23.02.2004
Ort: im Norden
Beiträge: 1,688
Standard

Hallo Lotte,

man darf natürlich nicht den Fehler machen und die Umstände in einer Erstaufnahmestelle mit dem normalen Leben gleichsetzen.

Die Kinder sind unheimlich niedlich mit ihren großen braunen Augen, und manchmal erschienen sie mir viel besser erzogen und dankbarer als deutsche Kinder in vergleichbarem Alter. Und auch, wenn es ernährungsmäßig falsch ist: ja, auch ich habe ab und zu Gummibärchen mitgebracht, und die Kolleginnen genauso.

BTW: Nudeln mit Fischstäbchen schmeckt noch besser als Nudeln mit Tomatensoße :-))

Ab und zu wollten manche Flüchtlinge von ihrem Schicksal erzählen. Meiner Kollegin wurden Handybilder gezeigt, wo der Bruder des Flüchtlings blutend und tot in den Trümmern eines Hauses lag. Horror.

Mich interessiert sehr, wie es mit den beiden kleinen Mädchen weitergeht, kannst Du ab und zu darüber berichten ?

Ich finde es supertoll, wie Du Dich einbringst und was Du leistet.

Liebe Grüße

Andreas

Geändert von AndreasLübeck (22.12.2015 um 10:42 Uhr)
AndreasLübeck ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 29.01.2016, 17:32   #7
Forums-Geselle
 
Registriert seit: 16.03.2012
Beiträge: 253
Standard

Inzwischen hat sich das Familienleben fast normalisiert. Die Kleine ist ein quirliges kleines Mädchen geworden, die munter durch die Wohnung tobt und auch schon auf der Straße erste Freundschaften gefunden hat. Ihr Deutsch ist schon recht gut.

Die Große bleibt weiterhin mein Sorgenkind. Sie spricht wenig, auch wenn sie nun schon etwas Deutsch kann. Ich weiß immer noch nicht, ob sie eher ein ruhiger Mensch ist oder ob da noch mehr dahinter steckt. Sie sucht allerdings inzwischen die Nähe zu mir. Der Grund war ausgerechnet ein zerbrochener Teller. Ich halte die Kinder dazu an, nach ihren Möglichkeiten im Haushalt mitzuhelfen. Beim Einräumen der Spülmaschine ist der Großen der Teller aus der Hand gerutscht und auf dem Boden zerbrochen. Sie hat sich danach ganz ängstlich unter den Küchentisch verzogen.Ich bin dann auch unter den Tisch und habe sie tröstend in den Arm genommen. Da hat es wohl Klick gemacht.

Die Tage waren wir zusammen mit dem Amtsvormund auf der Ausländerbehörde um die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Über den Asylantrag ist immer noch nicht entschieden. Ich habe selten so ein Chaos erlebt. Unterlagen für beide Kinder abgegeben, gewartet, ein Kind bekam die Unterlagen nach 30 minuten, auf das zweite Kind musste ich über 2 Stunden warten, in einem engen Raum mit vielen Menschen und schlechter Luft.

In Sachan Abstammung hat sich immer noch nichts getan. Demnächst haben wir einen Termin an der Uniklinik, dort soll das Alter der Kinder möglichst genau bestimmt werden. Das Standesamt überlegt, ob es rechtlich möglich ist, den Kindern einen provisorischen Nachnamen zu geben, der später wieder geändert werden könnte, falls sich ein Nachweis irgendwie auftreiben lässt.

Ihr seht, es wird nicht langweilig
Gruß
Lotte
die_lotte ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 02.02.2016, 10:25   #8
Berufsbetreuerin
 
Registriert seit: 16.12.2008
Ort: Berlin
Beiträge: 592
Standard

Hallo Lotte,

schön, wieder von Deinen Erlebnissen zu hören. Ich finde Dein Engagement echt toll und wünsche Dir weiterhin gute Kraft.

Liebe Grüße Christine
BetrKl ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 03.02.2016, 19:19   #9
Einsteiger
 
Registriert seit: 15.09.2015
Beiträge: 18
Standard

Sehr bewegende Berichte, danke dafür!
verstehenix ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Alt 03.02.2016, 21:09   #10
Admin/Berufsbetreuer
 
Benutzerbild von Imre Holocher
 
Registriert seit: 16.03.2004
Ort: Betreuungsbüro Herrlichkeit 6 in 28857 Syke
Beiträge: 8,574
Standard

Moin moin

Hier ist noch ein Bericht aus erster Hand von einem bzw. zwei befreundeten Ärzten, mit denen ich gerne zusammenarbeite.
Sie beziehen deutlich Position.
Den Bericht fand ich so gut, dass ich ihn hier her kopiert habe.
Er ist allerdings etwas länger, weshalb ich ihn auf zwei Beiträge verteilen mußte.

MfG

Imre

Teil 1:

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freude,

ich habe mir das wirklich überlegt: der nachfolgende Bericht zeichnet ein Bild von der Situation seiner Tätigkeit in einem Flüchtlingslager, er zeichnet ein Bild und Gedanken darüber aus seiner ärztlichen Tätigkeit heraus, er hat mit Gutmenschentum oder anderen ebenso schwachsinnig bezeichneten Weltbild-Verzerrungen – so wird es ja immer benutzt – nichts zu tun. Ich finde, hier sind Gedanken zusammengetragen, die man „sacken lassen“ sollte, bevor man solchen Blödsinn verbreitet wie aus der Ecke der AfD (im Zweifel soll die Polizei an der Grenze auch auf Flüchtlinge schießen usw.). Wenn denn – wie in diesem Artikel zu lesen – erklärt wird, wer da in unser Land will, dann sollte man in der Folge überlegen, was da eigentlich betrieben wird. Und überhaupt: bevor solche Sesselpupser, aus welcher politischen Ecke auch immer, dickbackig solchen Unsinn verbreiten, sollten sie selbst einmal einbezogen werden in die Hilfestellung und Kontaktaufnahme mit Menschen, die in unser Land wollen. Ich arbeite zwar nicht im Flüchtlingslager, aber habe sie als neu in unsere Region Zugeteilte in meiner Praxis ebenfalls zu behandeln. Die Geschichten, die diese Menschen erlebt und erzählt haben, sind unfassbar ….

In diesem Sinne veröffentliche ich diesen Artikel des Kollegen Lindemann auch in meinem persönlichen e-mail-Netzwerk und dem unseres Vereins und Hilfswerk „Biker-Brummi-Hilfe“.

Ich wünsche einen schönen Sonntag
Ihr und Euer
Hermann Munzel



(Beitrag des ärztlichen Kollegen Lindemann, gesendet via facebook !)

Liebe Leute,
nach nun fast vier Wochen im Erstaufnahmelager, finde ich endlich mal die Zeit ein paar Zeilen zur wirklichen Situation vor Ort zu schreiben und diese in Absprache mit der Camp-Leitung hier zu veröffentlichen.

In der aufgeheizten Stimmung zwischen allen politischen Lagern können ein paar Fakten aus erster Hand nicht schaden. Ich habe mir vorgenommen, diesen Bericht möglichst neutral zu verfassen. Das ist mir allerdings aufgrund der erschütternden Realität nicht gelungen und am Ende ist doch die Polemik und meine eigene Meinung mit mir durchgegangen…aber das wird man ja wohl noch sagen dürfen…

Ich bin zur Zeit als Arzt für die medizinische Erstversorgung der neu in Deutschland ankommenden Flüchtlinge zuständig. Diese findet nahezu vor jedem weiteren Schritt statt. Also vor der Registrierung (inkl. Fingerabdrücke und Foto!), der Versorgung mit gespendeter (Marken-)Kleidung, der Möglichkeit sich zu duschen, etwas zu essen oder der Verteilung auf das restliche Bundesgebiet etc. Das heißt im Klartext, dass man hier einen Eindruck in Reinform über die tatsächliche Situation der ankommenden Flüchtlinge erhält.

Dieser Eindruck ist pur und absolut ungefiltert. Ich kann Euch versichern, dass es absolut unmöglich ist, z.B. einen Fuß mit Erfrierungen zu versorgen, der über 500km in kaputten Schuhen, mit nassen Strümpfen durch den Winter marschiert ist und dabei durch eine „naive rosarote Gutmenschbrille“ zu schauen. Oder einen 4 Wochen alten Säugling in feuchter Kleidung mit Lungenentzündung zu behandeln, der zusammen mit einem Einjährigen und einer Vierjährigen, ganz alleine von der Mutter über das Mittelmeer, über Griechenland bis hier her geschafft wurde und sich dann den Vorwurf der Weltfremdheit anzuhören. Das hier ist die Welt! Und das hier ist sehr real und nirgends „rosarot“! Der Vater der 3 Kinder kam übrigens in Syrien ums Leben.

Diese Menschen kommen in einem absolut desolaten und erbarmungswürdigen Zustand hier an. Sicher wird es manchen erstaunen, dass es sich nicht zu 90% um junge, gesunde Männer handelt. Das hat das Wanken der Nachzugsreglung erfolgreich zum Schlechteren gewendet. Ich sehe pro Schicht etwa 300-500 Flüchtlinge. Mindestens 40% davon sind KINDER! Es gibt Familien, es gibt Alte und ja – es gibt auch junge Männer. Warum auch nicht? Allen gemein ist, dass sie absolut entkräftet und fertig sind. Ich habe bisher nie so viel Elend und Verzweiflung auf einem Haufen gesehen.
Neulich haben wir zum Beispiel eine Frau versorgt, deren Beine komplett verbrannt waren. Keine Ahnung wie sie es überhaupt bis zu uns geschafft hat. Wir haben allein eine halbe Stunde gebraucht, um die festgeklebten, schmutzigen und stinkenden Verbände von den vereiterten Wunden zu lösen. Da war aber kein Klagen und da war keine Anspruchshaltung. Diese Frau hat Dankbarkeit ausgestrahlt, weil sie endlich in Sicherheit ist und sich jemand um sie kümmert. Selbstverständlich ist sie nur ein Beispiel. Und selbstverständlich lassen sich mit Sicherheit auch Arschlöcher unter den Flüchtenden finden – wovon wir selbstverständlich schon genug unter den Eingeborenen haben.

Übrigens haben die Flüchtenden natürlich ihre Smartphones dabei. „Die“ haben vorher nicht in der Steinzeit gelebt und sind aus irgendwelchen Buschhütten und Höhlen gekrochen. Und vielen ist es zunächst wichtiger ihre Handys aufzuladen, als etwas zu Essen zu bekommen. Und dreimal dürft ihr raten warum? Was habe ich als erstes gemacht, als ich, bequem mit meinem Auto, trotz Glatteis, sicher im 500 km von zu Hause entfernten Camp angekommen bin?

Dass sie ein Lebenszeichen an die Lieben schicken zu wollen, wird diesen Menschen allerdings regelhaft zum Vorwurf gemacht und als Beleg für die fehlende Hilfsbedürftigkeit gesehen. Mit Verlaub - das ist weltfremd und obendrein arschig! Als würde es eine Pflicht geben, sich vor einer Flucht in Lumpen zu hüllen und bloß alle Wertgegenstände zurück zu lassen – inklusive der einzigen Möglichkeit zur Kontaktaufnahme zu den Angehörigen in Form eines Telefons.

In der aktuellen Situation müssen wir uns verdeutlichen, welchen Selbstanspruch wir an unsere Kultur haben. Natürlich könnten wir die Grenzen dicht machen und so tun als wäre Merkel an allem Elend dieser Welt schuld. Aber glaubt denn wirklich irgendwer damit wäre das Problem gelöst? Ich höre hier im Lager durchgehend weinende Kinder. Und ich weiß, dass sie dann halt vor unseren Grenzen weinen würden. Würden wir damit unsere Zivilisation retten? Nur weil wir es dann nicht mehr sehen und im Fernsehen einfach bequem umschalten können? Es zeugt schon von einer bemerkenswerten Moralvorstellung, wenn man auf fb das Elend eines gequälten Hundes anprangert und gleichzeitig sehenden Auges all diese Menschen vor unseren Grenzen krepieren lassen will – und wenn es nur durch Unterlassung ist. Ob das ein schützenswertes Abendland ist?
Natürlich müssen Lösungen vor Ort gefunden werden. Und natürlich können wir nicht die ganze Welt aufnehmen. Aber löst man einen Konflikt auf der Welt indem man gegen Flüchtlinge wettert und dumpf der Kanzlerin Verrat am Volk vorwirft? Sieht so die Rettung der Welt aus? Wo bleiben die wirklich konstruktiven Vorschläge und Initiativen der ach so besorgten Bürger?

Durch ihr „wir schaffen das“ hatte ich zum ersten Mal so was wie Respekt und Anerkennung für die Kanzlerin übrig. Weil sie ohne mit der Wimper zu zucken ihre politische Karriere riskiert hat, um eben jene Menschen nicht vor unseren Grenzen krepieren zu lassen und sie die enorme Herausforderung angenommen hat anstatt ihr übliches Teflonspiel des Aussitzens zu treiben. Und nie hat jemand behauptet, dass es eine leichte Herausforderung wäre. Und sind wir doch mal ehrlich: Wer von all den Hetzern ist denn WIRKLICH so arm, dass er befürchten muss durch die Flüchtlinge plötzlich weniger vom deutschen Wohlstandskuchen abzubekommen? Ist bisher WIRKLICH jemand deshalb ärmer geworden? Ist WIRKLICH jemand deshalb aus seiner Wohnung geflogen? Ist WIRKLICH jemand von einem bösen Asylanten aufgegessen worden? Und damit meine ich nicht denjenigen, der einen kennt, dessen Großcousine einen Nachbarn hat blabla.

Und Nein! Ich möchte nicht „so was“ wie in Köln gutheißen und bin sehr wohl für Sicherheit und Ordnung und eine härtere Bestrafung bei Gewaltdelikten jeglicher Couleur. Übrigens war ich schon bekennender Feminist als der Großteil der jetzigen „Frauenrechtler“ noch fröhlich Tittensprüche gemacht haben.

Was sich für Deutschland in erster Linie durch den Flüchtlingsstrom geändert hat, ist die Tatsache, dass wir zum ersten Mal eins zu eins mitbekommen, was in den armen Ländern dieser Welt absolut üblich ist: Wir nehmen Flüchtlinge im großen Maßstab auf und beweisen dadurch Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und sind bereit wenigstens einen kleinen Teil der Zeche zu zahlen, die die westliche Welt mit ihrer Außen- und Wirtschaftspolitik arrogant hat anschreiben lassen.
Damit sage ich ausdrücklich nicht, dass ruhig jeder hier her kommen soll und machen kann was er will. Natürlich fordere ich Integrationswille und Verfassungstreue ein – aber auch und vor allem von meinen eigenen Landsleuten! Schließlich hätten die schon seit ihrer Geburt die Chance gehabt humanistische Werte zu lernen. Und nicht selten profitieren sie schon viel länger als die Flüchtlinge von unserem Sozialstaat…

Teil zwei kommt gleich...
__________________
Fehler sind dazu da, um sie zu machen
und daraus zu lernen.
Fehler sind nicht dazu da, sie dauernd zu wiederholen.
Imre Holocher ist offline  
Digg this Post!Add Post to del.icio.usBookmark Post in TechnoratiFurl this Post!
Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche
Ansicht

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.
Trackbacks are an
Pingbacks are an
Refbacks are an

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 10:37 Uhr.


Powered by vBulletin® Version 3.8.11 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Template-Modifikationen durch TMS

SEO by vBSEO 3.2.0

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39