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Floriana 05.02.2021 04:46

Ablehnung von Wiederbelebung im Krankenhaus?
 
Hallo zusammen, ich bin gerade von Verwandten mit einer merkwürdige Frage konfrontiert worden, weil ich mich im Betreuungsrecht etwas auskenne. Es geht um Genehmigungen zu ärztlichen Maßnahmen bzw deren Ablehnung. Da meines Wissens die Regelungen für Betreuer und Bevollmächtigte dazu identisch sind, habe ich es mal hier bei Genehmigungen eingestellt. Wenn das falsch sein sollte, bitte ich das zu verschieben.

Ein Mann, Mitte 80, war aufgrund eines Herzstillstands schwer gestürzt, erlitt Knochenbrüche und Hirnblutungen und liegt seit zwei Wochen im Koma. Vor wenigen Tagen wurde er in eine neurologische Früh-Reha verlegt - laut der überweisenden Klinik in eine hervorragende Spezialklinik, wo er die bestmögliche Betreuung haben soll.

Die Ehefrau und zwei erwachsene Kinder haben eine umfassende Vorsorgevollmacht mit Patientenverfügung. Die Vollmachtnehmer dürfen über medizinische Maßnahmen oder deren Unterlassung entscheiden, auch wenn das zum Tode oder bleibenden Schäden führen könnte, wobei in der Vollmacht auch auf die möglicherweise gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungen des Betreuungsgerichts gem. Paragraph 1904 BGB hingewiesen wird. Die Vollmacht ist notariell beglaubigt und im Vorsorgeregister eingetragen.

Bisher hatte keiner der behandelnden Ärzte eine Prognose abgegeben, ob oder wann der Mann (jemals) wieder mit seiner Umwelt in Kontakt treten kann, oder ob er Schäden zurückbehalten wird (sowas ist auch schwierig bei Bewusstlosen). Eine Überweisung in eine Früh-Reha würde man aber vermutlich nicht machen, wenn es total aussichtslos wäre.

In der Reha-Klinik wollte der behandelnde Arzt gleich beim ersten Telefonat wissen, ob die bevollmächtigten Familienangehörigen im Falle eines weiteren Herzinfarkts Wiederbelebungsmaßnahmen befürworten oder ablehnen würden, und wie sie dazu stehen, lebensverlängernde Maßnahmen weiterzuführen. Der zweite Teil der Frage wird durch die Patientenverfügung geregelt, die der Klinik vorliegt, über Wiederbelebung steht aber nichts darin.

Diese Frage war so formuliert, als benötige die Klinik eine Art Generaleinwilligung gegen (oder für) eine Wiederbelebung. Meine Verwandten wunderten sich auch, weil u.a. geraten wurde, man möge doch abwägen, ob das nicht eine unnötige Quälerei wäre.

Dies alles vor dem Hintergrund, dass es bisher gar keine ärztliche Aussage über die Heilungschancen gibt (auch nicht von der Ärztin, mit der telefoniert wurde).

Irgendwie erscheint mir dieses Ansinnen, sich für oder gegen Wiederbelebung entscheiden zu sollen, merkwürdig. Ich persönlich würde das nicht machen, jedenfalls nicht ohne die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen.

Wie würdet ihr euch gegenüber dem Krankenhaus verhalten? Findet ihr das auch seltsam, oder ist sowas vielleicht doch üblich?

michaela mohr 05.02.2021 06:57

Zitat:

Findet ihr das auch seltsam, oder ist sowas vielleicht doch üblich?
Es ist gerade in kritischen Fällen durchaus üblich diese Frage vorab zu klären.



Stell dir einfach die Situation dazu vor, dann wird es nachvollziehbarer.

Mann erleidet nacht um halb 3 Uhr- was auch immer. Da hat jeder genug damit zu tun adäquat zu reagieren, Schmerzen zu lindern usw. bzw sich tatsächlich um das Wesentliche zu kümmern.
Da hat dann konkret keiner Zeit zu nachtschlafener Zeit in voller Hektik zu versuchen ein Telefonat zu führen.


Solche Fragen sollte man in Ruhe und ohne Druck klären. Das bedeutet nicht, dass man sich nicht mehr um den Patienten bemühen wird. Es ist eine komplizierte Frage die man nicht in Kürze und Knappheit abhandeln kann.



Zitat:

Ich persönlich würde das nicht machen, jedenfalls nicht ohne die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen.
Wenn bei Arzt und Patient bzw. dessen Vertreter über vorgeschlagene Massnahmen Einigkeit besteht wird das Betreuungsgericht nichts mehr genehmigen.

HorstD 05.02.2021 07:28

Hallo, ja die Regelungen zu Betreuern und Bevollmächtigten sind (hier) gleich, § 1901a Abs. 5 BGB, § 1904 Abs. 5 BGB.

Zum letzten Absatz von Michaela: siehe § 1904 Abs. 4 BGB. Wobei dieses „Einvernehmen“ hier ja wohl noch gar nicht besteht. Das Arztgespräch „auf Leben und Tod“, § 1901b BGB, hat ja wohl noch nicht (vernünftig) stattgefunden.

Denn: BEVOR es um eine Einwilligung oder Verweigerung geht, muss erst mal eine ärztliche Prognose erfolgen, die in ein konkretes BehandlungsANGEBOT (es ist ja ein Vertrag. § 630a BGB) münden kann. Aber nicht münden MUSS. Wenn der Zustand so ist, dass jede weitere Therapie den Sterbevorgang nur verlängern würde (sog. „Infauste“ Prognose), müssen die Ärzte nix mehr anbieten, außer Palliativversorgung (besser im Hospiz).

Siehe dazu die Grundsätze der Bundesärztekammer (unter infauste Prognose): https://www.bundesaerztekammer.de/fi...g_17022011.pdf

Leider machen sich Ärzte das bisweilen leicht, indem sie die Entscheidung auf Betreuer/Bevollmächtigte abschieben, ala „wird einer Behandlung eh nicht zugestimmt, brauchen wir keine Entscheidung mehr treffen“.

Empfehlung: mit dem Chefarzt sprechen. Nicht mit Subalternen. Oder veranlassen dass im Krankenhaus ein Ethikkonsil einberufen wird. Siehe unter https://de.m.wikipedia.org/wiki/Klin..._Ethik-Komitee

michaela mohr 05.02.2021 07:41

Zitat:

Empfehlung: mit dem Chefarzt sprechen. Nicht mit Subalternen. Oder veranlassen dass im Krankenhaus ein Ethikkonsil einberufen wird. Siehe unter
Ob das so sinnvoll sein mag?

Meiner Erfahrung nach laufen Chefarztgespräche -wenn es um den konkreten Menschen geht- eher in`s Leere da dieser den Betroffenen höchstens aus den zwei Visiten die Woche "kennt".

Zitat:

BEVOR es um eine Einwilligung oder Verweigerung geht, muss erst mal eine ärztliche Prognose erfolgen, die in ein konkretes BehandlungsANGEBOT (es ist ja ein Vertrag. § 630a BGB) münden kann.
Das kann ich nicht bestätigen.
Bei allgemein Schwerstkranken bleibt oft ja nur die Frage: Wiederbelebungsmassnahmen um jeden Preis in einer evtl. akuten Krise oder nicht?
So zumindest hatte ich die Frage der Threadstarterin verstanden.

Die Frage danach wirkt auf Angehörige oftmals abschreckend und unverständlich, ist aber absolut berechtigt und sollte - auch wenn es endlos schwer fällt- zunächst in der Familie und dann mit den behandelnden Ärzten in Ruhe besprochen werden.

Floriana 05.02.2021 09:53

Danke für Eure Einschätzungen. Ich hatte halt Bedenken, weil der Gesetzeswortlaut gar nichts über Akutsituationen erwähnt, und dass man Ärger mit dem Betreuungsgericht bekommen könnte, wenn man dessen Zustimmung nicht einholt, bei einer Entscheidung, die den Tod zur Folge haben wird.

Ich denke, ich werde meinem Verwandtentrotzdem raten, dass sie sich von den Ärzten eine schriftliche Prognose geben lassen. Denn der Unnfall ist ja grade mal 14 Tage her, und nach so kurzer Zeit ohne gesicherte ärztliche Prognise schon davon auszugehen, dass er nie mehr aufwacht, könnte als grob fahrlässig angesehen werden.

Floriana 05.02.2021 11:14

Noch als Ergänzung: ich glaube, das Problem ist hier die fehlende ärztliche Einschätzung des Zustands des Patienten. Es wäre ja theoretisch denkbar, daß er sich auf dem Wege der Besserung befindet und dann einen Herzinfarkt erleidet. In dem Fall Wiederbelebung zu unterlassen wäre sicher nicht erlaubt.



Ich finde das Vorgehen der Klinik zweifelhaft, keine Aussage treffen zu wollen, aber trotzdem eine Einwilligung in solche Maßnahmen zu verlangen. Meine Verwandten werden jetzt nochmal detaillierter mit der Klinik sprechen, um das aufzuklären.

michaela mohr 05.02.2021 13:07

Zitat:

Es wäre ja theoretisch denkbar, daß er sich auf dem Wege der Besserung befindet und dann einen Herzinfarkt erleidet. In dem Fall Wiederbelebung zu unterlassen wäre sicher nicht erlaubt.

Nur theoretisch: wenn der Gesamtzustand des Patienten auch in der Prognose als kritisch und evtl. zweifelhaft eingeschätzt wird. Evtl. vergleichbar mit einem schweren Fall von Phase F, also absolut bewegungs- und reaktionsununfähig, dann würde sich bei einem noch dazukommenden Herzanfall schon die Frage stellen ob hier Wiederbelebungsmassnahmen zu ergreifen sind.


Zitat:

Meine Verwandten werden jetzt nochmal detaillierter mit der Klinik sprechen, um das aufzuklären.
Vielleicht liegt hier das emotionale Missverständnis. Auch der beste Arzt kann nicht immer vorhersehen wie sich eine Erkrankung entwickelt oder verläuft.
Gerade bei Koma Patienten ist Sicherheit in der Prognose eher ausgeschlossen- insbesonders was die Schäden nach dem Erwachen aus dem Koma betrifft.
Erwartet von dem Gespräch also nicht allzuviel an unverrückbarer Klarheit.

Imre Holocher 05.02.2021 18:24

Moin moin


Ich gebe Horst schon recht: Vor einer Entscheidung muss man wissen, worüber eine Entscheidung zu fällen ist. D.h. die Diagnose muss vorliegen und über die Behandlungsmöglichkeiten und verschiedenen Prognosen muss auch gesprochen werden.


Michaelas Einwand

"Das kann ich nicht bestätigen.
Bei allgemein Schwerstkranken bleibt oft ja nur die Frage: Wiederbelebungsmassnahmen um jeden Preis in einer evtl. akuten Krise oder nicht?"
ist da etwas kurz gegriffen, weil bei Schwerstkranken eine Diagnose schon vorliegen muss und Behandlungsformen nebst Prognosen zumindest schon überlegt werden können. Damit ist die Grundlage für ein Arztgespräch durchaus vorhanden.

Ob das Gespräch mit dem Chefarzt oder Oberarzt stattfindet, soll jeder selber entscheiden. Darunter würde ich nicht empfehlen, da die einfachen Ärzte bis zum Stationsarzt viel zu schnell wechseln.


In den anderen Punkten stimme ich Michaela zu. Es ist wirklich besser, sich noch in entspannten Zeiten über diese Themen zu unterhalten. Nicht erst, wenn die Alarmglocken schon läuten. Dann ist es definitiv zu spät. Z.B. wenn die Bevollmächtigten wissen, dass keine weitere Behandlung gewünscht wird, aber diese Info noch nicht bei den behandelnden Ärzten angelangt ist.

Wenn da eine entsprechende Krise eintritt, wird grundsätzlich erst einmal behandelt (und notfalls das Maximalprogramm gefahren) und nicht die Bevollmächtigten befragt (weil sie nicht schnell genug zu erreichen sind.


In dem Fall von Floriana würde ich den Verwandten / bevollmächtigten empfehlen, sich zu überlegen, was der Vollmachtgeber für Vorstellungen über die Grenzen seiner Behandlung hat/hatte und dann das Gespräch mit den Ärzten suchen.
Wenn diese den Stand der Erkrankung und die möglichen Behandlungsformen und darauf zu beziehenden Prognosen mitteilen, können die Bevollmächtigten einschätzen, was davon noch gewünscht wird und was nicht.



Beispiel:
Es kann ja sein, dass der Patient selbst eine halbwegs erfolgreiche Behandlung bestenfalls als schwerer Pflegefall überleben würde.

Wenn er das nicht gewollt hätte, können die Bevollmächtigten einer Behandlung widersprechen.



oder:
die Behandlung bietet eine bessere Prognose, mit der der Patient einverstanden wäre. Dann wäre zuzustimmen.
Wenn es dann aber in der Praxis ungünstig verläuft und er doch zu einem schweren Pflegefall werden würde, dann ist es zwar sehr bedauerlich, aber man könnte für die nächste Krise vorsorgen.
Z.B. in dem man die Bedingungen für die Grenzen der Behandlung festlegt (Vorschlag):


- der Patient ist nicht mehr ansprechbar
- es liegt eine Erkrankung vor, die zum Tode führt, auch wenn der Zeitpunkt noch nicht klar ist
- es liegt eine zusätzliche Krise vor, die akut (lebenserhaltend oder reanimierend) zu behandeln wäre
- die dafür notwendigen Maßnahmen würden den Patienten voraussichtlich nicht wieder mindestens in den status quo versetzen
Wenn diese Bedingungen alle erfüllt sind, sollen die lebenserhaltenden / reanimierenden Maßnahmen unterbleiben.



Ich hatte schon einige Betreute, bei denen ich vor ähnlichen Situationen gestanden habe und die Ärzte von mir unbedingt ein Placet haben wollten. Die genannten Überlegungen waren mir da eine große Hilfe. Und sind es auch, wenn ich mich mit Betreuten (oder auch ganz unbetreuten Personen) über eine Patientenverfügung unterhalte.


MfG


Imre

She 05.02.2021 20:20

Hallo Floriana,

ein schwieriges Thema, ich kenne es leider aus eigener Erfahrung.

Bzgl. der Prognose. Diese haben die Ärzte durch die Art des „nichts Sagens“ schon mitgeteilt, und es gibt bestimmt einen Grund, warum der Reha-Arzt sofort wegen der Wiederbelebung angerufen hat. Ärzte äußern sich nur dann klar, wenn sie absolut sicher sind. Aus deinem Bericht lese ich – zwischen den Zeilen heraus -, dass der Mann sich nicht mehr erholen wird, zu mindestens nicht zu einem für ihn erfüllten Leben. Die Ärzte sind sich lediglich nicht sicher ob er „überleben“ wird.

Ich hoffe, dass deine Verwandten sich an die Patientenverfügung halten, denn diese hat der Betroffene selbst entschieden. Die Wiederbelebung ist nicht das Problem, sondern der Wunsch in Würde sterben zu dürfen und die entsprechenden Anweisungen dazu, die in keiner PV fehlen dürften, befolgt werden. Problem ist nur, wenn es in einer notariellen Vollmacht eine PV gibt, wird diese häufig nicht im entsprechenden Zeitrahmen aktualisiert. Ich bekomme zum Teil 10 Jahre alte PV.

Dass der Mann in eine Reha verlegt wurde heißt gar nichts. Die KH brauchen nur drei Dinge: Freie Betten, feie Bette und nochmals feie Betten. Sie haben, wie wir (ich bin Heim, nicht Betreuerin) , Personalmangel und sind zum bersten überfüllt.

Eine schwere Entscheidung für deine Verwandten.

LG
SHE


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