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Carmen Hauerstein 22.06.2006 22:31

Möchte meiner Mutter und meinem Vater helfen
 
Hallo.

ich bin froh, dieses Forum gefunden zu haben, und erhoffe mir ein paar Antworten auf für mich schwierige Fragen.

Zur Situation:

Meine Eltern leben zusammen in einem Haus mit mehreren Grundstücken. Mein Vater ist mehrfach behindert:
blind
Diabetes
Stoffwechselkrankheit
Arthrose
und und und
Er hat Pflegestufe 3.
Seinen Zustand kann man sich in etwa wie eine etwas windschiefe Treppe vorstellen:
Wenn es ihm besser geht, kann er (gerade noch so) auf ebenen Strecken geradeaus laufen, er findet gerade so die Toilette oder die Küche. Bewegt sich insgesamt aber weitestgehend nur noch im Haus. Er benötigt Hilfe bei der Toilette, Körperpflege, Essen.
Wenn es ihm schlecht geht, ist er komplett bettlägerig, kaum ansprechbar, reagiert schlecht (er hatte schon öfter Zuckerkoma und Leberkoma). Jeder Schnupfen wirft ihn aufs Bett.

Seine Entwicklung ist typisch für Alkoholiker :x . Es geht ihm abwechselnd besser und schlechter in immer kürzeren Abständen, wenn es ihm schlechter geht, geht es ihm jedesmal schlechter als beim letzten Mal. Wenn es ihm besser geht, jedesmal etwas weniger besser als beim letzten Mal. Im Prinzip geht es sehr langsam bergab.

Hinzu kommt, dass er einen schwierigen Charakter hat. Er wird oft nicht nur meiner Mutter gegenüber ausfällig, die ihn seit 3 Jahren aufopferungsvoll zu Hause pflegt, sondern auch gegenüber den Pflegekräften, die derzeit einmal pro Tag kommen.

Er ist sehr eigensinnig und läuft oft los, ohne dass jemand etwas davon weiß, manchmal (inzwischen bestimmt ca. 40 mal) fällt er hin.
Da er immernoch ca. 90 Kilo wiegt, braucht meine Mutter jedes Mal Hilfe, um ihn wieder aufzuheben.
Meine Mutter ist 148 cm groß, 57 kg schwer, 63 Jahre alt. Sie ist praktisch von der Berufstätigkeit in die Pflege gestolpert, was aus meiner Sicht die schwierigere Aufgabe ist.

Meine Mutter ist psychisch sehr labil geworden durch die Pflegetätigkeit. Sie fühlt sich meinem Vater gegenüber verpflichtet. In wachen Tagen ist er voll zurechnungsfähig, in schlechten Tagen überhaupt nicht. Sie trägt eine unglaubliche Verantwortung, die für ihre Schultern aber viel zu schwer ist. Deshalb äußert sie in letzter Zeit immer öfter Selbstmordgedanken. Ich nehme das sehr ernst, weil ich weiß, dass ihre Lage verzweifelt ist.

Problem: Ich bin beruflich eingespannt, kann ihr also nicht direkt helfen. Aus beruflichen Gründen wohne ich 220 km entfernt von meinen Eltern.

Meine Frage(n):

Wie kann ich meiner Mutter helfen?
Wäre es sinnvoll, die Betreuung beim Vormundschaftsgericht anzuregen? Wäre es angesichts ihrer labilen Psyche angebracht, meine Mutter als Betreuerin für meinen Vater vorzuschlagen? (ich denke das könnte ein Problem sein, da sie ja selbst inzwischen sehr krank ist)
Ich weiß nicht so recht weiter, aber ich weiß, dass sich schnell etwas ändern muss. Ich wäre dankbar für jede Art von Vorschlag.!!!

mary 23.06.2006 01:43

Hallo Carmen, eher könnte deine Mutter mehr Hilfe gebrauchen, als der Vater. Wie wäre es, wenn Vater in ein Pflegeheim käme, damit die Mutter entlastet ist? Er scheint auch sehr schwierig und wohl auch jähzornig zu sein? Ist er trockener oder noch nasser Alkoholiker?

Allerdings wird bei der Frage eines Heims das Vermögen herangezogen und das ist sehr schnell aufgebraucht.

Meine Mutter hat ihren Mann 5 Jahre zu Hause gepflegt, er war halbseitig gelähmt; als es nicht mehr ging, sind sie in ein Seniorenheim, ins Betreute Wohnen, also eigene Whg.. Man riet meiner Mutter - damit noch mehr Entlastung, obwohl der Pflegedienst 3 x täglich da war - ihn auf die Pflegestation zu verlegen. Es ging denen auch nur ums Geld, denn der Pflegedienst hätte außerdem noch weiter in der Whg. pflegen können, ein Pflegedienst war ja direkt angeschlossen und die Pflegestation ein Stockwerk tiefer.

Innerhalb eines Jahres waren um die 60.000 DM Eigenanteil aufgebraucht, dann starb er, worüber nur meine Mutter traurig war:)) Pflegestufe 3 der Pflegekasse + Eigenanteil, so um die 4.500 DM damals pro Monat.

Wie gesagt, meine Meinung, man lockt erst mal die Leute ins Betreute Wohnen und irgendwann wartet schon die Pflegestation und erst dann bringt dem Anbieter Geld (zumal beim Einmieten erst mal die finanzielle Verhältnisse offengelegt werden müssen beim Betreuten Wohnen innerhalb der Whg - also Miete, Betreuungsvertrag, derzeit 95,--/pro Person extra und dann die Pflege abgerechnet über die Pflegekasse).
Man siebt schon mal die Probanden aus, die für die Pflegestation in Frage kämen :evil:

Oder man nimmt sich eine Pflegerin rund um die Uhr ins Haus. Das Pflegepersonal wird sich aber seinen Launen bedanken, all das bekommt jetzt noch deine Mutter ab, leider, Gruss mary

Carmen Hauerstein 23.06.2006 08:03

Mein Vater ist trockener Alkoholiker, kann aber sehr jähzornig werden. Er ist sehr stur und will partout freiwillig nicht in ein Heim gehen. Auch schätzt er die Situation meiner Mutter völlig falsch ein, er glaubt, sie würde simulieren bzw. sich nur einbilden, dass sie durch die Pflege sehr belastet wäre.
Im August geht er für 4 Wochen in die Kurzzeitpflege, damit meine Mutter mal Urlaub machen kann (seit 3 Jahren das erste Mal), aber mehr ist nicht drin.
Meiner Meinung nach braucht meine Mutter dringend ein neues Leben, das müssen wir irgendwie schnell geregelt bekommen, sonst wird sie sich das Leben nehmen.

mary 23.06.2006 23:23

Oh je, hört sich ja total ausgepowert an, fast Nervenzusammenbruch. Könnt ihr euch nicht schnellstens nach einem Pflegeplatz für den Vater umschauen. Da muss es doch was im Rostbratwurstland geben.

Google doch mal unter Seniorenheime oder rufe die Pflegeversicherung an. Sollte deine Mutter weiterhin auch ihre Suizidgedanken, z.B. bei einem Arzt aäussern, könnte sie ganz schnell in der Psychiatrie landen.
Zu DDR-Zeiten gab es noch die Feierabend-Heime, hieß doch so oder?

Andererseits benötigt deine Mutter dringend Schutz, auch vor sich selbst, und vor ihrem Mann, Grüsse von mary

Imre Holocher 28.06.2006 23:27

Moin Carmen

Ich schreibe Dir als Berufsbetreuer, der haufenweise mit solchen Situationen zu tun gehabt und schon oft zugesehen hat, wie sich Menschen selber zugrunde gerichtet haben, weil sie meinten Verantwortung tragen und helfen zu müssen. Also sei bitte nicht böse, wenn manches recht hart klingt.

Deine Eltern leben schon sehr lange zusammen und die Situation des Alkoholiker- und Co-Alkoholikertums schint schon reichlich eingefahren zu sein. Deshalb ist das Verhalten Deines Vaters (jähzornig, fordernd, Schuld-gebend/zuweisend) und das Deiner Mutter (sich verantwortlich und evtl. schuldig-fühlend, die Hilfe trotz Selbstaufgabe nicht stoppen wollend) gut geübt und eingespielt. Für beide ist das Verhalten normal und beide sehen keine Möglichkeit etwas daran zu ändern - immer spricht etwas dagegen.
Das kommt so oft vor, dass man es gar nicht glauben möchte.

Für Dich als weitere Angehörige, die auch helfen möchte ist diese Situation schwierig: Welche Hilfe willst Du geben? Was soll Deine Hilfe bewirken?.
Du läufst in die große Gefahr (wie die meißten Angehörigen in dieser Situation), die Rolle Deiner Mutter zu übernehmen. Du wirst ebenfalls Opfer Deines Vaters und machst Dich selber kaputt, weil Du an Dir an ihm die Zähne ausbeißt.
Schließlich steckst Du als Angehörige selber ein Stück in diesem System von gegenseitigen Erwartungen drin. (Du bist meine Tochter und mußt mir beistehen. Wenn Du das nicht tust, dann bist Du nicht gut.....)

Was Du aber machen kannst ist Folgendes:
Mach zuerst Dir selber klar, dass Du selber nicht direkt in diesem System helfen kannst (z.B. die Rolle Deiner Mutter übernehmen, wenn Sie nicht mehr da ist). Du kannst keinen Menschen verändern, das kann er/sie nur selber.
Sei Dir auch bewußt, dass wirkliches "helfen" nicht bedeutet, das zu geben, was von Dir erwartet wird, sondern dass es - wie hier notwendig - auch bedeuten kann, die hilfebedürftigen Personen auf den Pott zu setzen und sich abzurenzen.
AberAchtung: Das ist mit Sicherheit auch für Dich schwer auszuhalten.

Die Hilfe ist dann:
Deinem Vater klar zu machen, wie er mit seinem Verhalten auf Dich und Deine Mutter wirkt, und dass er von Dir darin keine Unterstützung bekommt. Wenn Du es Richtig findest, dass er in ein Heim geht, bietest du nur dafür Hilfe an. Für alles, was Du nicht richtig findest, verweigerst Du die Hilfe - alles andere ist unehrlich (und für Dich selber schwer zu ertragen).
Deiner Mutter solltest Du ebenfalls deutlich machen, dass sie sich mit ihrem Verhalten selbst kaputt macht, und Du ihr hierbei auch nicht weiter unterstützt. Biete auch ihr nur die Hilfe an, die Du richtig findest und verweigere die falsche Hilfe. (Die Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch ist eine Gefühlssache - Wenn Du auf Deine eigenen Gefühle achtest, weißt Du sehr schnell, ob es Dir dabei gut geht, oder nicht).

Für euch alle drei gilt folgendes:
Egal, ob ihr dieses oder jenes tut - ihr müßt dafür einen Preis zahlen. Aber ihr müßt euch entscheiden welchen Preis ihr zahlt!!!
Ein Heimplatz kostet Geld.
Zu Hause pflegen kostet auch Geld, es kostet aber auch Gesundheit (Leben?)
Eigene Schuldgefühle zu bekämpfen ist anstrengend und kostet Nerven
"Nein" zu sagen kostet auch Nerven und Mut.


In meiner Praxis bin ich allerdings bisher immer gut damit gefahren, wenn ich den betreffenden Personen klipp und klar gesagt habe, was ich anbieten kann - und was nicht. Ich habe aber auch deutlich gesagt, dass sie das Recht haben sich tot zu saufen oder tot zu helfen.
Und ich habe immer ganz deutlich gesagt, dass ich den anderen Menschen nicht verändern kann - das muss schon jede/r für sich selber tun.

Viel Glück und Ausdauer wünscht

Imre


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