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Marsupilami 22.05.2020 18:05

"Corona-Bußgeld" bei Geschäftsunfähigkeit?
 
Liebe KollegInnen,


einer meiner Klienten hält sich gerne auf öffentlichen Plätzen auf. Er ist Jahr alt, geistig behindert, entwicklungsverzögert. Das ist aber auf den ersten Blick nicht ersichtlich.

Es liegt ein EV in Vermögensangelegenheiten vor.


Nun habe wir folgende Situation:


Im Zusammenhang mit den Kontaktverboten hatte der B. sich auf einem Parkplatz mit einem Freund getroffen. Man hielt zwar Abstand, aber es gesellte sich eine dritte Person hinzu. Der B. hat schon eine Wahrnehmung, dass das nicht sein sollte, konnte sich der Situation aber nicht entziehen, weil er nicht wußte, wie er sich verhalten soll.


Schwupp, kamen 2 Menschen vom Ordnungsamt, und es kam ein ordentliches Bußgeld.
Da der B. meinte, das wäre ja auch in Ordnung, habe ich bezahlt.


Wenig später traf ich mich nachmittags mit dem B. in einem Park.
Eine Woche später kam ein Schreiben des Ordnungsamtes: er soll zu eben dem Zeitpunkt, als wir uns (mit ordentlichem Abstand und Maske) besprochen haben, mit anderen Leuten verbotenerweise "erwischt" worden sein. Es wurde ein Anhörungsbogen geschickt, auf dem eine konkrete Uhrzeit vermerkt war.
Wir haben den Bogen ausgefüllt und vermerkt, dass wir zu eben dieser Zeit zusammen waren (und ich habe kein Bußgeld bekommen!).
Außerdem habe ich (obwohl die Stadverwaltung das wissen sollte, da ich es bekannt gegeben habe) mit dem Anhörungsbogen nochmals die fehlende Geschäftsfähigkeit und die Betreuerurkunde eingereicht.


In Folge der Einreichung des Anhörungsbogens kam nun der Bußgeldbescheid. Hier wird nur noch das Datum der vermeintlichen Fehlverhaltens genannt, auf unsere Einlassungen wurde überhaupt nicht eingegangen.


1. Finde ich seltsam, dass der Bescheid nun kein Datum mehr nennt (offensichtlich weiß man nicht mehr so genau, wann man ihn erwischt haben will). Ist das zulässig?


2. Ist es tatsächlich korrekt, dass ein geistig behinderter Mensch, der weder die Tragweite der Verbote sowie deren stetige Veränderungen verstehen kann, geschweige denn, der sich - wenn andere Menschen sich zu ihm gesellen - der Situation angemessen verhalten (z.B. weggehen) kann, ein Bußgeld bezahlen muss?


Durch die beiden Bußgelder sind nun Schulden entstanden, die er mit seinen Grundsicherungsleistungen kaum wird bezahlen können. Das muss nicht grundsätzlich ein Argument sein, ich habe nur Probleme damit, dass ihm krankheitsbedingt die Einsichtsfähigkeit fehlt, und er zu jedem Zeitpunkt wieder in eine solch teure Situation geraten könnte.

Imre Holocher 22.05.2020 18:57

Moin moin

Gibt es bei dem Bußgeldbescheid ein Rechtsmittel (auf das in dem Bescheid hinzuweisen ist)?
Dann mal Rechtsmittel einlegen und noch mal einfordern um die Mitteilung bitten, welches Vergehen und an welchem Tag nebst Uhrzeit es gewesen sein soll. Vielleicht ist es ja ein anderes Vergehen.

Falls es doch um die Uhrzeit eures Treffens gewesen sein soll, dann noch mal widersprechen, da kein Vergehen stattgefunden hat sondern eher eine Verwechslung.

Falls man trotzdem auf ein Bußgeld besteht, ggf. gerichtlich dagegen vorgehen.
Beim Ordnungsamt mit der Einsichtsfähigkeit des Betreuten zu wedeln hat keinen Sinn, da die Behörde in dem Punkt wohl auch nicht besser gestellt ist...

MfG

Imre

HorstD 22.05.2020 20:22

Die (ergänzende) Rechtsgrundlage für alle Bußgelder ist das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Es wird dabei oft Bezug auf das Strafverfahren genommen (die Ordnungswidrigkeiten wurden als „kleine Straftaten“ 1975 aus dem Strafgesetzbuch heraus genommen). Die Schuldunfähigkeit des § 20 StGB findet sich daher auch im OWiG, in § 12 Abs. 2 OWiG. Bei einem Einspruch sollte darauf Bezug genommen werden. Die Akte des Betreuungsgerichts kann dazu beigezogen werden.

Wichtig aber: die Einspruchsfrist läuft mit Bekanntgabe an den Betreuten selbst, es kommt nicht auf die Bekanntgabe an den Betreuer an, § 51 OWiG. Und der Betreuer braucht einen passenden AK (alle Angelegenheiten, Personensorge, Bußgeldverfahren). Daher ist es sinnvoll, dass der Einspruch (offiziell) durch den Betreuten selbst erfolgt. Fehlt der AK, dauert eine Erweiterung zu lange. Es gibt keine Fristhemmung, § 210 BGB gilt genausowenig wie § 6 VwZG.

Pichilemu 23.05.2020 00:40

Zitat:

Zitat von HorstD (Beitrag 126867)
Wichtig aber: die Einspruchsfrist läuft mit Bekanntgabe an den Betreuten selbst, es kommt nicht auf die Bekanntgabe an den Betreuer an, § 51 OWiG. Und der Betreuer braucht einen passenden AK (alle Angelegenheiten, Personensorge, Bußgeldverfahren). Daher ist es sinnvoll, dass der Einspruch (offiziell) durch den Betreuten selbst erfolgt. Fehlt der AK, dauert eine Erweiterung zu lange. Es gibt keine Fristhemmung, § 210 BGB gilt genausowenig wie § 6 VwZG.

Wenn der Betreute wegen seiner geistigen Behinderung selbst kein Rechtsmittel gegen den Bußgeldbescheid einlegen kann, sollte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 52 OWiG möglich sein. Jedenfalls wird diese Rechtsansicht für den Strafbefehl vertreten (LG Berlin vom 28. Mai 2001, AZ 525 Qs 8/01). Das sollte auch auf einen Bußgeldbescheid übertragbar sein.

Stefanie78 23.05.2020 01:46

Geschäftsunfähigkeit ist doch aber nicht dasselbe wie Schuldunfähigkeit.

Beim ersten Bußgeldbescheid sah der Betreute sein Fehlverhalten doch ein. Weis das mal nach, dass jmd. einsichtig ist und aber danach nicht handeln kann. Da halte ich die Hürden für sehr hoch.

Aber der zweite Bescheid ist ja wohl schlicht falsch. Da würde ich notfalls gerichtlich vorgehen.

Skyler_Hope 23.05.2020 03:43

auch der wille des betreuten muss hier berücksichtigt werden. mindestens einmal hat er gegen coronaregeln verstoßen. womöglich wäre das ganze justiztratra für ihn belastender als ein zweites bußgeld, das außerdem dabei helfen kann, den (hoffentlichen) lernerfolg zu "festigen".

Marsupilami 25.05.2020 07:53

Ob sich bei Menschen mit Lernbehinderung und Intelligenzminderung ein Lernerfolg einstellen kann, der es Ermöglicht die sich stetig ändernden „Coronaregeln“ zu verstehen, glaube ich nicht wirklich.
Ich glaube aber, dass er schon weiß, dass Da was falsch gelaufen war. Er ist aber nicht in der Lage sich adäquat zu verhalten.
Also etwa zwei Schritte zurück zu gehen, wenn sich jemand nähert.
Wie schwer das ist, erlebe ich ja auch regelmäßig. Vor allem Senioren rücken einem oft ziemlich auf die Pelle: das ist es schwer höflich zu bleiben und Abstand zu gewinnen...
Ich habe jetzt erstmal Horsts Rat befolgt. Zwar habe ich nicht den passenden Aufgabenkreis, den aber beantragt. Bislang hat die Behörde mich für zuständig erklärt.
Sicher ist so eine Auseinandersetzung anstrengend, da aber kein Geld da ist, um die Knöllchen zu bezahlen, entsteht auch hier ein Konflikt.
Zudem bin ich trotz aller notwendigen Schutzmaßnahmen davon überzeugt, dass Rücksicht darauf genommen werden muss, ob jemand die Regeln einhalten kann oder nicht.

Stefanie78 26.05.2020 23:47

Ich drück die Daumen, dass es klappt.

So jemand wird erwischt und die völlig gesunden Nachbarn meiner Mutter haben fast täglich zu viert in 50 cm Abstand am Zaun oder auf dem Bürgersteig zusammengegluckt und vermutlich über die Nachbarn gelästert, die sich an die Regeln halten. Aber solche erwischt man nicht.

Christian Martens 27.05.2020 01:12

Zitat:

Zitat von Stefanie78 (Beitrag 126915)
die völlig gesunden Nachbarn meiner Mutter haben fast täglich zu viert in 50 cm Abstand am Zaun oder auf dem Bürgersteig zusammengegluckt

Und, sind sie jetzt wenigstens alle ganz dolle krank?
Oder stört es Dich nur, dass sie DIE REGELN nicht eingehalten haben?

Christian Martens

Mirko 04.04.2022 21:01

Hallo,
ich habe bei einem Klienten die mangelnde Lernfähigkeit angegeben, ein Bußgeld soll ja einen Lerneffekt haben, das ist leider nicht gegeben. Bis heute habe ich nichts wieder von dem Bußgeld gehört und bald ist die Frist rum.......
ich hoffe mal das nichts mehr kommt. Besser fände ich das von der Stadt eine Einstellung des Verfahrens kommen würde, aber wenn das "liegen lassen" auch funktioniert......:d010:


Gruß
Mirko


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