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michaela mohr 01.06.2022 09:08

aktuelle Arbeitssituation
 
Guten Morgen zusammen,
ich möchte gerne (auch im Rückblick auf meinen damaligen Überforderungsthread) in aller Offenheit eine ehrliche Diskussion zu den derzeitigen Arbeitsbedingungen herstellen. Hat evtl. auch was mit einer gewandelten Form von Berufsethik an sich deren Änderungen ich scheinbar irgendwie verpasst oder evtl. auch übersehen habe.

Der Ausgang dieses Wunschs liegt in den inzwischen eher unhaltbaren Gründen der umgebenden Institutionen, sei es die Institutsambulanz, der Klinik, inzwischen auch am Gericht. Am besten funktioniert im Moment tatsächlich nur noch das Sozialamt und das JC , zumindest im Stadtgebiet. Landkreis ist schon länger aussen vor.

Reguläre psychiatrische Aufnahmen in der Klinik sind seit längerem überhaupt nicht mehr möglich-ausser für (scheinbar) akute Notfälle. So wie es aussieht am besten mit/durch Polizeieinsätze.

Ich höre inzwischen auch von Ärzten in der PIA Sätze bei akuten Krisen wie...... müssen abwarten und im schlimmsten Fall dann notfalls unterbringen. Verstärkte Terminvergaben sind nicht mehr möglich zur Abwendung der Krise.
Meine Leute taumeln inzwischen in der Gegend rum, bauen kiloweise Sch....... und- landen vermehrt dann bei mir im Büro. Ich kann oft nur dadurch noch ein Arztgespräch erreichen/regelrecht erzwingen indem ich zusammen mit ihnen in die PIA fahre. Alleine Hinschicken (was sie sogar machen würden) geht gar nicht mehr.

Bei Gericht fast dasselbe, z.B. kurzfristige Abladungen werden nur an die Hälfte verschickt. Der Betreuer erreicht telefonisch

1 1/2 Std. bei Gericht überhaupt niemanden mehr der Aufklärung dazu geben könnte. Die betreffende Dame schleppt seit 1 Jahr alles Gepäck aus der Wohnung mit sich rum und hat, natürlich, auch kein Telefon. Also fahre ich durch die halbe Stadt um einen Zettel an die Tür zu hängen bei der Vorstellung des Theaters an der Einlasskontrolle.

Das werde ich zukünftig auch nie mehr machen! Ich reihe mich damit natürlich in die Problem-Weitergabeschlange ein.

Dass bei den ganzen Aktionen von meiner Seite aus der Schreibtisch noch mehr überquillt ist selbstredend aber auch mein Tag hat nur 8 bis 9 Stunden Arbeitszeit.

Ich muss mich inzwischen selbst dazu zwingen eine kurze Mittagspause zu machen, habe mich allerdings auch schon dabei ertappt mir zu überlegen die ausfallen zu lassen. (Mache ich mit Sicherheit nicht. Ich sehe ja auch die Ärzte die wie gewohnt in die Pause wandern. Ich weiss, das klingt jetzt nachtragend:heul:)

Meine Jobethik sagte mir immer, dass man Leute für die man verantwortlich ist nicht im Stich lässt. Im Moment bin ich am überlegen mir einen neuen Ethikbegriff zuzulegen und den hoffentlich dann auch einzuhalten. Das wird ganz klar nur auf Kosten der Kundschaft gehen.

Mich verunsichert das massiv. Gibts keine Alternativen dazu?


Als Betreuerin hat man ja neben dem Job noch privat einiges zu erledigen, Steuern, Krankheit, Familie usw. Nicht jede/r hat einen Partner der einem das abnimmt oder abnehmen kann. Von echter Freizeit ganz zu schweigen.

Wie sieht es bei euch realistisch und konkret damit aus (das ist jetzt nicht das Vorwort zu Plattitüden oder einem neuen Jammerthread)
Gehts nur mir so oder empfindet ihr in der Gesamtheit die Veränderungen ( in den Arbeitsbedingungen) ähnlich?

michaela mohr 01.06.2022 09:26

Vergessen bzw. gerade erst eingefallen: wir sitzen wie andere Fachdisziplinen auch zwischen vielen Stühlen.
Wie wäre es mit einem Ehtikrat, einer Ethikkommission für Betreuer?

Imre Holocher 01.06.2022 23:34

Moin moin


Ganz so mies ist es in meinem Revier mit den Behörden glücklicherweise nicht. Die Sozialämter der Gemeinden arbeiten gut, das vom Landkreis ist ein wenig schneller geworden, hat dafür aber keine Ahnung, was es tut (macht aber auch nichts) und das Gericht ist nach wie vor klasse.
Da ich seit einiger Zeit bis auf ganz wenige Ausnahmen keine neuen Betreuungen mehr annehme, sind die Betreuten weniger geworden. Dadurch ist meine Arbeitssituation recht entspannt. Das Einkommen ist auch nächstes Jahr kein Problem, weil ich jetzt schon bald wieder anfangen kann die Vergütungen ins nächste Jahr zu schieben, um Steuern zu sparen.
Nach vielen Jahren mit reichlich viel Arbeit kommt mir das Gemeinschaftsbüro und die gute Organisationsstuktur sehr zugute.



Ich kann mich deshalb nicht beklagen, kenne aber KollegInnen im Revier, die mächtig am strampeln sind.


MfG
Imre

michaela mohr 02.06.2022 08:55

Hallo Imre, ich hatte dazu geschrieben, dass es derzeit beim JC oder Sozialant eher noch am besten läuft:a040:Das ist als Überbegrff "Verwaltung".
Die anderen Bereiche wie z.B. Klinik/Psychiatrie empfinde ich als mehr belastend. Wir haben ja nicht "nur" dafür Sorge zu tragen, dass Miete und Strom gezahlt sind, der viel ursächlichere Grund liegt ja in der Erkrankung begründet. Die Betreuungsbehörde hat mir z.B. erzäht, dass alleine in einer Woche 29 Betreuungsanregungen eingegangen wären. Das ist schon eine ordentliche Hausnummer. Klar sind da bestimmt auch Fälle bei weil niemanden mit der überbordenden Bürokratie mehr klar kommt-letztendlich werden aber auch die in der Not grösstenteils bei uns auf dem Rücken landen. Besonders da es ja schnell gehen muss, Gründlichkeit steht und kann nicht mehr an erster Stelle stehen.

Zitat:

Da ich seit einiger Zeit bis auf ganz wenige Ausnahmen keine neuen Betreuungen mehr annehme
Die "alten" können auch urplötzlich austicken. Dann stehst du, in dem Fall ich, genau wieder da wo du angefangen hattest nur mit dem Unterschied, dass die Hilfsstrukturen dafür sich schwer verschlechtert haben. Damit schliesst sich dann leider wieder der Kreis.
Ich habe gerade in den letzten drei Wochen drei Betreuungsaufhebungen gehabt. Alles ist wieder in Ordnung, alles ist wieder in der Reihe. Ich befürchte das werden die letzten gewesen sein.
Sicher liegt auch vieles bei diesem Thema an der Klienten- und Infrastruktur.

Mirko 02.06.2022 09:59

Zitat:

Zitat von michaela mohr (Beitrag 141373)
Vergessen bzw. gerade erst eingefallen: wir sitzen wie andere Fachdisziplinen auch zwischen vielen Stühlen.
Wie wäre es mit einem Ehtikrat, einer Ethikkommission für Betreuer?


Moral und Ehtik haben in unserer Gesellschaft keinen Stellenwert mehr. Jeder kämpft für sich, keine Gemeinschaft, kein zusammenhalt.


Gruß
Mirko

michaela mohr 02.06.2022 10:23

Zitat:

Moral und Ehtik haben in unserer Gesellschaft keinen Stellenwert mehr.
Abgesehen von dem resignativen Ansatz der hier durchschimmert teile ich diese Meinung nur teilweise bis gar nicht.
Gerade die Ethikräte in Kliniken haben deutlich zugenommen, bringen sich auch (gesellschaftlich) immer stärker und immer öfter ein.

Ich wollte jetzt auch hier nicht das grosse allgemeine Seufzen eröffen das alles schlimmer wird.:nein:
Ich versuche mich in Selbstreflektion und bin auf der Suche nach Lösungen und Möglichkeiten damit nicht weiter der Verschiebebahnhof die erste Geige spielt.


PS: mit einer Entschuldigung gleich vorab.:winke:
Zitat:

Jeder kämpft für sich, keine Gemeinschaft, kein zusammenhalt.
Wenn du das wirklich denkst, dann ist für mich nicht verständlich warum du dir ausgerechnet den Job als Betreuer ausgesucht hast.

Mirko 02.06.2022 11:33

Das ist meine Sicht der Dinge, das ist kein Jammern. Ich merke ja wie man mit Mitmenschen umgeht.

Du denkst zu wissen warum ich den Beruf gewählt habe?
Du nimmst meine Aussage als Deine, das funktioniert aber nicht. Weil Du ein paar Zeilen von jemanden liest, meinst Du zu wissen was er denkt.


Und das passt dann natürlich auch dazu das man hier auch keine Antwort bekommt wenn man eine Frage stellt.
jm2c


Gruß
Mirko

michaela mohr 02.06.2022 11:40

Zitat:

Zitat:
Moral und Ehtik haben in unserer Gesellschaft keinen Stellenwert mehr.
Abgesehen von dem resignativen Ansatz der hier durchschimmert teile ich diese Meinung nur teilweise bis gar nicht.
Gerade die Ethikräte in Kliniken haben deutlich zugenommen, bringen sich auch (gesellschaftlich) immer stärker und immer öfter ein.

aprilapril 02.06.2022 18:00

Zitat:

Zitat von Mirko (Beitrag 141395)

Und das passt dann natürlich auch dazu das man hier auch keine Antwort bekommt wenn man eine Frage stellt.
jm2c


Also ich habe hier bisher immer sehr viele Antworten auf (meine) Fragen bekommen :winke:
Ich habe Michaelas Antwort auf deinen Beitrag auch nicht als Angriff oÄ verstanden, eher als "Verwunderung", denn - so ist mein Eindruck - muss man doch oft sehr hoffnungsvoll, vorausschauend und ja positiv in die Zukunft blicken. Wenn man eh denkt, dass alles aussichtslos ist, ist ja jedes Papier, jedes Gespräch umsonst...


Ich habe auch nicht das Gefühl, dass die Gesellschaft vollkommen kaputt ist und jeder nur noch für sich alleine kämpft. Dass vieles schlecht läuft - ja, aber gerade untereinander bemerke ich, dass da Zusammenhalt ist!


Zurück zu Michaelas Beitrag:

Ich habe natürlich noch nicht so den Vergleich, wie es früher war, da ich erst seit 2,5 Jahren dabei bin, aber zB deine Klinikerfahrung bemerke ich ebenfalls. Oder Hausarztsuche... wie viel Zeit dafür draufgeht, einen Hausarzt zu finden, der Hausbesuche macht... Katastrophe. Und wir wohnen nicht einmal auf dem Land, aber alle sind dicht. Zermürbend.
Ämter finde ich momentan wieder ganz okay, das war zu Corona-Hochzeiten teilweise echt schlimm, gar keine telefonische Erreichbarkeit. Das einzige, wo ich kaum Kontakt hinbekomme, ist die Ausländerbehörde, da stehen jeden Tag Schlangen vor der Türe...


Zum Gericht: Bei uns kommt die Gerichtspost durch einen kleinen Postanbieter (also nicht gelb) und die sind so langsam... da brauchen die tlw 2-3 Wochen, das ist nervig. Aber liegt nicht am Gericht, da wären Brieftauben wesentlich zuverlässiger :D

Mächschen 02.06.2022 21:42

Zitat:

Zitat von aprilapril (Beitrag 141403)
Zum Gericht: Bei uns kommt die Gerichtspost durch einen kleinen Postanbieter (also nicht gelb) und die sind so langsam... da brauchen die tlw 2-3 Wochen, das ist nervig. Aber liegt nicht am Gericht, da wären Brieftauben wesentlich zuverlässiger :D

Das kommt mir sehr bekannt vor...

Ich hoffe, Du lässt Dir daher Eilsachen Faxen und hast dem Gericht das Problem schriftlich mitgeteilt (ist nützlich, falls man mal deshalb ne Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand allein deshalb beantragt werden muss).


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