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Missbräuchliche VO von Neuroleptika und was das mit den Betreuern zu tun hat

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Alt 21.06.2010, 09:31   #1
Berufsbetreuer / Verfahrenspfleger
 
Registriert seit: 24.10.2009
Beiträge: 911
Standard Missbräuchliche VO von Neuroleptika und was das mit den Betreuern zu tun hat

"Neuroleptika gehören zu den am häufigsten missbräuchlich eingesetzten Substanzen. [...] Hier hat der Betreuer die Aufgabe, Missbrauch aufzudecken und zu unterbinden", schreiben Raack und Thar in der neusten Auflage ihres Leitfadens Betreuungsrecht. Doch es geht noch um mehr als nur die Aufdeckung von Missbrauch: Es ist Aufgabe der Betreuer und Bevollmächtigten, den Kranken bei den von Finzen geforderten Verhandlungen zu unterstützen. Und die Gerichte müssen, um weiteren Schaden von dem Betreuten abzuwenden, in jedem einzelnen Fall vor behandlungsrelevanten Entscheidungen auf eine überzeugende Darstellung der Risiko-Nutzen-Abwägung durch Betreuer oder Arzt bestehen."
- Wolf Crefeld, Mitglied im Vorstand des VGT e. V.
in: BtPrax 02/2010, Editorial

Ich Betreuer - ich Supermann.
Omipräsent, omniscient und am besten noch omnipotent.

Ausnahmsweise will ich gar nicht primär das Klagelied der Berufsbetreuer anschlagen, die ja wirklich davon träumen, nur 10 Betreuungen führen zu müssen, um über die Runden zu kommen, und sich um diese 10 Menschen dann entsprechend vollumfänglich bemühen zu können (inkl. Hilfe bei der Auswahl des Toilettenpapiers).
Nein, das mache ich heute ausnahmsweise nicht - weil in der hier befremdlich praxisfern wirkenden Gedankenwelt des Herrn Crefeld offenbar der Berufsbetreuer gar nicht existiert. Das macht es aber nur noch schlimmer - denn ist die Forderung der Herrn Raack, Thar und Crefeld schon für gestandene und hochqualifizerte Berufsbetreuer kaum erfüllbar, so muss der ehrenamtlich Betreuende im Regelfall zwangsläufig scheitern, sofern er nicht zufällig ein passendes Studium absolviert hat.
"Missbrauch" in diesem Sinne lässt sich nicht qua Bauchgefühl feststellen, sondern setzt dediziertes und detailliertes Fachwissen voraus, an dem es erfahrungsgemäß gar vielen Medizinern ohne Psychiatriepraxis mangelt. Es ist nahe liegend, dass somit ehrenamtlich tätige, wie auch Berufsbetreuer (mithin oft studierte Sozialarbeiter oder Juristen) hier im Regelfall keinen Blumentopf gewinnen können - auch nicht durch noch so motivierte Fortbildung oder autodidaktische Anstrengungen, die gerade für Berufsbetreuer ohnehin auch im medizinischen Fachbereich unerlässlich sind.

Doch es geht noch weiter:
Selbst wenn der Betreuer eine missbräuchliche Verordnung von Neuroleptika lupenrein und nach allen Regeln der Kunst glaubt festgestellt haben zu können - was dann...?
Den Betreuten anweisen, jene Medikamente nicht mehr einzunehmen...?
Den behandlenden Arzt anweisen, die Medikation zu ändern...?
Eigenmächtig eine Veränderung von Präparat oder Dosierung anordnen...?
Einen Arztwechsel vollziehen, den der betreute Mensch vielleicht gar nicht will...?
Mit welcher Legitimation...? Mit welchem Auftrag...? Mit welchen Folgen...?
Von haftungsrechtlichen Dramen ganz zu schweigen...

Es ist für mich in keiner Weise nachzuvollziehen und völlig inakzeptabel, dass der "Schwarze Peter" ärztlicher Selbstgefälligkeit und Missbrauchsgewohnheit nun den Betreuern in die Schuhe geschoben werden soll. Es ist uns (bei allem Bewusstsein um Verantwortung und Pflicht) schlichtweg nicht möglich, als "Supermänner und -frauen" durch die Weltgeschichte zu hüpfen, um die Fehler anderer Verantwortlicher zu erkennen und zu korrigieren - wir haben weiß Gott genug eigene Pflichten und Verantwortlichkeiten. Und alleine schon der Versuch, uns so etwas unterjubeln zu wollen, ist hochgradig unverschämt und unzulässig.

Auch die Situation der Betreuungsgerichte (hinsichtlich personeller Ausstattung und hoher, umfangreicher Verantwortlichkeit, etc.) ist doch hinlänglich bekannt - wie stellt sich Herr Crefeld so eine "überzeugende Darstellung der Risiko-Nutzen-Abwägung durch Betreuer oder Arzt" vor...? Mit welchem Ergebnis und zu welchem Ziel...?
Und vor allem: Was hat das Gericht damit zu tun, sofern §§ 1904, 1906 BGB nicht berührt sind - was sicherlich nicht bei jeder Verabreichung von Neuroleptika der Fall ist...? Das gibt schon zu denken...

Es ist Auftrag der Ärzteschaft, schwarze Schafe und schlechte Angewohnheiten in den eigenen Reihen zu bekämpfen - und die gerade in der Psychiatrie teilweise völlig ins Bizarre entgleiste Halbgott-Mentalität abzulegen und einzugestehen, dass selbst modernste Psychiatrie (und gerade psychiatrische Pharmakologie) zumeist nichts anderes ist, als "trial and error", wie es zahlreiche Studien nicht erst seit gestern belegen.
So ist Missbrauch in der Verordnung von Neuroleptika einzudämmen - und nicht anders.

Entsprechend empfinde ich das Editorial des Herrn Crefeld fast schon als arglistigen Hieb in den Betreuer-Rücken - schließlich sollte man gerade am VGT etwas mehr Praxisnähe und Praktikabilitätssinn besitzen.

Bedauerlich...
__________________

Chesterfield ist offline  
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Alt 22.06.2010, 01:33   #2
"Nervensäge" vom Dienst
 
Benutzerbild von MurphysLaw
 
Registriert seit: 08.12.2008
Ort: Berlin
Beiträge: 755
Standard

Hallo Chesterfield,

du studierst doch nebenbei, oder? Nicht zufällig Medizin? Falls nein, solltest du mal grad schnell umsatteln ;-)

Im Ernst, ich verstehe deinen Ärger und frage mich wirklich, in welcher Welt Utopia der Verfasser da lebt!

Gruss,
MurphysLaw
MurphysLaw ist offline  
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Alt 22.06.2010, 10:13   #3
Berufsbetreuer / Verfahrenspfleger
 
Registriert seit: 24.10.2009
Beiträge: 911
Standard

Zitat:
Zitat von MurphysLaw Beitrag anzeigen
du studierst doch nebenbei, oder? Nicht zufällig Medizin? Falls nein, solltest du mal grad schnell umsatteln ;-)
Mh, wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber Jura studieren und dann den Betreuungs-Laden mal ordentlich aufmischen...

Dankenswerterweise war ein großer Teil der Seminare des Master-Studiums über Psychopharmakologie - und ich hab ne Menge dazu gelernt.
Abgesehen davon gibt's mittlerweile ja auch eine Vielzahl frei zugänglicher, kritischer Studien dazu.

Ich persönlich halte Neuroleptika trotz allem für in vielen Fällen unvermeidlich und sinnvoll (jaja, auch da kann man natürlich anderer Meinung sein) - nur sollte sich m. E. das Bewusstsein im Umgang damit ändern und offen ausgesprochen werden, dass Neuroleptika an sich nicht "heilen", sondern im Optimalfall eben eine Heilung (soweit bei psychischen Erkrankungen überhaupt möglich) unterstützen bzw. den Umgang mit entsprechenden Erkrankungen / Behinderungen erleichtern können.
__________________

Chesterfield ist offline  
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Alt 14.07.2010, 02:07   #4
Gesperrt
 
Registriert seit: 18.08.2005
Ort: im Baumhaus
Beiträge: 624
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Na das hört sich ja mal gut an.

Unserer Betreute wurde zur Auflage gemacht, der Betreuerin nachzuweisen, dass sie alle 14 Tage trotz heftigster Nebenwirkungen eine Depotspritze verabreicht bekommt. Sollte dies unterlassen werden, wird eine "fürsorgliche Vorführung" von wenigen Stunden in der Psychiatrie zur Verabreichung durchgeführt (Aufenthaltsbesimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge). Das mildere Mittel zur Einweisung. Siehe auch ein Urteil des BGH hierzu.

Dieses Mittel nützt seit Jahren absolut nix, verursacht dazu noch Aggressionen, Depressionen und absetzen so einfach geht nicht. Gerade mal einen einen Psychiater gefunden, der ausschleicht.

Ausgeschlichen wurde schon Monate vor einer einer Schwangerschaft, dann abgesetzt, weil man nicht garantieren kann, dass ein Kind total behindert sein könnte, was auch absolut richtig war, und dann später seitens des VormR behauptet, man hätte das Medi einfach abgesetzt. Welcher Irrsinn. Im Krisenfall bekommt man es in der Psychiatrie, auch mit Zwang, und draußen wird so ohne weiteres kein Absetzen erfolgen, ausschleichen von Monaten und ist das Depot einmal drinnen alle 14 Tage, kann man diese Zeit mit allen Nebenwirkungen auch mal locker so aussitzen!Psychotherapie ist in vielen Fällen die erste Wahl. Depot wird für diejenigen benutzt, die "Therapieunwillig" seien, keine Einsicht zeigten.

Die Pharmaindustrie lässt grüßen.

Gruss mary
mary ist offline  
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Alt 14.07.2010, 19:49   #5
Admin/Berufsbetreuer
 
Benutzerbild von Imre Holocher
 
Registriert seit: 16.03.2004
Ort: Betreuungsbüro Herrlichkeit 6 in 28857 Syke
Beiträge: 8,592
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Hallo Chester

Nicht aufregen über Crefeld oder andere Koryphäen. Im Betreuungsbereich sind das Juristen, die eben eine Juristenlinse vor den Augen haben und nur juristisch können. Mit Praxiserfahrung oder Pragmatismus ist es da bei so manchen Halbgott nicht weit her. Soweit ich micht erinnere, war Herr Crefeld sowieso kein Freund des Betreuungsrechtes und hätte es lieber bei den Vormundschaften gelassen, auch wenn er es nicht so ausdrückt. Auf Nebengesprächen bei Tagungen ist mir da mal die eigene Kinnlade aufs Knie gefallen...

Aber warum soll es im Bereich der Betreuungen anders sein als im Bereich der (Sozial-)Psychiatrie. Da ist so manch extrem bekannter Guru inzwischen so irre menschlich, dass er von den meisten anderen Profis überwiegend ur noch belächelt wird.
Eigentlich schade, aber shit happens. Da wie dort.

Besonders schmerzlich ist es allerdings, wenn die selben Personen vor einigen Jahren tatsächlichnoch exzellente und wegweisende Beiträge in ihren Bereichen beigetragen haben.

MfG

Imre
__________________
Fehler sind dazu da, um sie zu machen
und daraus zu lernen.
Fehler sind nicht dazu da, sie dauernd zu wiederholen.
Imre Holocher ist offline  
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Stichworte
betreueraufgaben, betreuerpflichten, medikamente, psychische erkrankungen


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